Meine letzten 33 Stunden waren etwas Adrenalinlastig. Gab auch nette Sachen, aber ich fang mal vorne an. Am Samstag so um 15:30 Uhr kam Annika mit Emma (die ihren Hund vor 2,5 Wochen von der Apa geholt hatte). Sie hatte Kuchen und Donuts mitgebracht. Die Hunde haben sich gut verstanden und sind wie blöd durch den Garten getobt.
Bis um 21:30 Uhr waren die beiden hier und kommen auch nochmal wieder, wenn ihr Freund für 2 Wochen hier im Land ist. Kaum waren die weg, meinte Kind 1, dass der Junge, nennen wir ihn hier mal Connor, wieder weglaufen wird. Seine Eltern hätten Besuch und sobald der weg wäre und die Eltern im Bett, würde er wieder losgehen. Zu Fuss. Um Mitternacht sind wir ins Bett, um 3 Uhr stand Kind 1 am selbigen.... er geht jetzt los! Um 4 Uhr hatten wir ihn im Auto, ein paar Kilometer von Zuhause weg. Man konnte mit jedem gefahrenen Meter merken, wie sich die Anspannung löste. Um 5 Uhr waren wir auf dem Polizeirevier. 2 Männer, die sich die Augen gerieben haben und erstmal etwas ratlos waren. Dann haben sie das Polizeirevier im Bezirk des Jungen informiert und nochmal ihren Chef angeklingelt. Die Daten aufgenommen, unsere Aufenthaltsgenehmigungen kopiert. Der Junge wusste vor Aufregung erstmal seine Adresse nicht, Papiere hatte er nicht dabei. Mehr müsste erstmal nicht gemacht werden. Der Junge könnte bis Montag bei uns bleiben, wir müssen aber am Montag zwischen 9 und halb zehn wieder dort sein. Also ab nach Hause und erstmal noch wieder alle ins Bett.
Geweckt wurde er dann von den Versuchen seiner Eltern ihn zu erreichen. Auch haben die Eltern meine Tochter angesimst, ob er denn bei uns wäre. Hat sie verneint. So habe wir dann um 10 Uhr gefrühstückt und hatten wirklich Spaß, weil es auch ein ziemliches Sprachwirrwarr war. Und mitten in dieser fröhlichen Runde klingelt es! Glücklicherweise haben wir zu der Seite hohe Mauern und Tore. Es keiner reingucken, man hört nur die Hundemeute bellen. Wir können allerdings von hier über die Mauer gucken wer da ist, also praktisch von oben herab. Seine Eltern mit einem "Höheren". Mein Mann hat ihnen dann gesagt, dass laut Polizei der Junge bei uns bleiben kann und dann begann eine höchst amüsante, englische Schauspielnummer der Mutter (der Vater hat übrigens gar nichts gesagt). Sie rief erst völlig hysterisch: "CONNOR! CONNOOOOOOR!" Dann in einem lieblichen Ton: "Connor, come out, your Mummy is here! Mummy is here!" Dann fing sie unter schlecht gespieltem Schluchzen an und meinte zu mir (immer alles auf englisch): "Geben Sie mir mein Kind. Wissen Sie wie das ist, wenn ihnen ihr Kind weggenommen wird. Er ist krank, er hat Diabetes. Wenn ihm was passiert sind Sie Schuld!" und so weiter. Irgendwann haben wir uns einfach weggedreht und gesagt: "Fahren Sie einfach zu Polizei!"
Wir wieder ins Haus, die Kinder hatten zwischenzeitlich schon die Choreografie für ein Musical über die ganze Geschichte ausgearbeitet und waren immer noch gut drauf. Kaum saßen wir wieder beim Frühstück, ging das Telefon. Polizeirevier Caldas. Die Eltern wären da und es würde jetzt eine Patroullie vorbeigeschickt und wir müssten den Jungen rausgeben, weil er eben erst 15 ist. Es geht momentan nicht anders. So, Stimmung völlig im Eimer, ich noch jemanden, dessen Nummer ich aus dem Internet hatte, die Religionsaussteiger unterstützen, angerufen. Auch er sagt, es geht momentan nicht anders, aber es gibt einen offiziellen Weg, ich sollte das alles Aufschreiben und dann gucken wir weiter.
Kurze Zeit später stand die Polizei und die 3 Gestalten hier wieder vor der Tür. Der Polizist war sehr nett und hat vor der Übergabe den Jungen versucht zu beruhigen. Das der Vorfall nun dem Jugendschutz gemeldet wird. Während ich hier hinter der Mauer mit allen 3 Kindern und den Polizisten stand (der hat auch nochmal seinen Chef angerufen), stand mein Mann draussen mit den Eltern und diesem Höheren. Ein Laberkopp! Völlig auf reden getrimmt. "Der Junge ist ja noch gar kein Jehova, er ist ja noch nicht getauft. Und sie wären nicht fanatisch, die Zeugen Jehovas gibt es doch auf der ganzen Welt. Und jedes Kind versucht doch mal wegzulaufen und und und." Der Polizist hat dann die Ausweise der Eltern verlangt, unsere Ausweise hatte man ja morgens um 5 schon kopiert. Zum Schluss meinte er noch, dass sie nicht ohne Ankündigung mit dem Jungen das Land verlassen dürfen. Hab ich den Höheren gebeten, dass doch unbedingt nochmal eben den Eltern zu übersetzen. War die Mutter doch etwas empört. Dann wurde der Junge geholt und es wurde kein Wort mit ihm gesprochen. Tja, muss ich nicht sagen, was für ein Scheissgefühl es war, den Jungen wieder in die "Obhut" seiner Eltern geben zu müssen. Stundenlang haben seine Eltern kein Wort gesagt, wie wir später erfahren haben. Nur der Höhere hat erst hinter verschlossenen Türen mit den Eltern und dann mit dem Jungen gesprochen.
Der Tag war gelaufen, wir waren alle traurig. Heute morgen um 9:30 Uhr war ich mit Mann wieder zum Polizeirevier, gleich durch zum Chef. Der hatte unseren Fall gerade auf dem Tisch. Nun hatte der Junge, in der kurzen Zeit hier im Haus einen Zettel/Brief auf englisch geschrieben, was da im Elternhaus so los ist. War meine Idee, damit man eben in der Aufregung nichts vergisst zu erzählen, wenn wir da wie ursprünglich gedacht, am Montag wieder mit dem Jungen stehen. Den Brief hab ich von Kind 1 auf portugiesisch übersetzen lassen und beides heute als Farbkopie mitgenommen. Zusätzlich hab ich einen Zettel gemacht, mit den Sachen, auf die ich unbedingt nochmal hinweisen wollte. Das seine körperlichen Krankheiten (wie Diabetes) durch den psychischen Druck der Eltern entstanden sind (er weiss das auch selbst sehr genau). Das seine Eltern seit 3 Jahren illegal hier sind, also nicht ordnungsgemäß angemeldet. Dass sie dadruch auch wohl keine Krankenversicherung haben, wo sich die Mutter doch solche Sorgen wegen der Diabetes macht und das der Junge im letzten halben Jahr in der Schule total abgesackt ist und auch der Gesundheitszustand in diesem Zeitraum rapide bergab gegangen ist.
Der Chef war sehr nett und meinte es handelt sich um einen gravierenden Fall und der geht jetzt an den Jugendschutz im Bezirk des Jungen und dann werden die Eltern und der Junge angehört und es wird entschieden, ob der Junge aus der Familie genommen wird. So, das ist der aktuelle Stand, mehr können wir leider nicht machen.